Geschichte des Zentrum Altenberg
Im Jahrbuch der Stadt Oberhausen 2007 findet sich folgender Artikel über uns, den wir unkommentiert veröffentlichen: „Wenn die Soziokultur dem Zeitgeist trotzt Kreativ, tolerant und politisch: 25 Jahre Zentrum Altenberg“ Von Jasmin Fischer
1968 – diese Jahreszahl, dieser Stern leuchtet manchmal noch, wenn sich Gründer und Macher im Zentrum Altenberg daran erinnern, wie alles begann.
Bunt, wild, anders, politisch bewegt und vor allem – anders als der Zeitgeist dieser Tage – optimistisch, so muss der Oberhausener Boden einst gewesen sein: Gib den Kreativen, den Suchenden, jenen, die sich gegen die Käuflichkeit des Lebens wehrten, gib jenen Raum für ihre Ideen, Schutz vor den Regeln der Vermarktung und Platz für Experimente, Fehler und Alternativen.
In diesem Geist befand sich vor 25 Jahren das Zentrum Altenberg, heute eines der größten soziokulturellen Zentren in NRW. Das war exakt am 1. Mai 1982, und den „irgendwie links“ denkenden Machern wie Holger Füngerlings sollte da schon bald die Atmosphäre der 80er entgegenwehen; die Yuppie-Ära mit ihrem Maßstab teurer Anzüge und Autos, die Geburtsstunde des Porsche 911 für die ganz anders tickenden Zeitgenossen, für die ( viel ) Geld keine Frage war.
Geld war jedoch auch auf dem Grundstück der alten Zinkfabrik am Bahnhof keine Frage, schlicht kein Thema. Dieter Blase, damals Mitarbeiter im Stadtplanungsamt, sammelte jene Umtriebigen in der Stadt, die ein Dach für ihre Ideen brauchten, zusammen: Theaterleute, Künstler, Eine-Welt- Idealisten von Terre des Hommes, eine Demokratische Lesben- und Schwuleninitiative – und, man wundert sich – einige junge Leute, die gerne Briefmarken sammelten. Bis zuletzt war in den Walzhallen gearbeitet worden, nun sollte das Fabrikgelände Heimat für Geist und Kultur werden. Improvisation war wichtiger als Bares.
„Erst einmal war dies hier ein riesiger Abenteuerspielplatz“ erinnert sich Mike Wilken. Irgendwo in Sterkrade hatte man sich in großen Mengen Holz organisiert – zum Heizen. Mit dem Holz kamen aber auch die Mäuse. Vom Sterkrader Krankenhaus stibitzten die Altenberg-Gründer – das darf man heute bestimmt zugeben – nachts Fenster aus einem Sperrmüllcontainer. Die Kanalisation lief über die Dachrinne und ein gigantischer Bollerofen, ein alter Kessel aus den Duschen der Kaue, stand knallrot im Raum. „Lagerfeuerstimmung“ unkt Wilken, “ vorne wurden die Leute gegrillt, hinten haben sie gefroren.“ An dem Ort, an dem eigentlich eine Tiefgarage entstehen sollte, landeten ab und zu Eisen- bahnschwellen im Bollerofen, richteten sich die einzelnen Gruppen ihre eigenen Räume her.
Von der Stadt Oberhausen wohlwollend bedacht, von etablierten Gruppen wurde das Zentrum jedoch lange kritisch beäugt; es gründete sich zwar schnell ein „Initiativkreis Altenberg“ – mit einem basisdemokratischen Entscheidungsplenum – doch zu neu und zu fern von den herkömmlichen, organisierten Verbandsstrukturen war das soziokulturelle Zentrum, als dass es von Anfang auf Akzeptanz gestoßen wäre. „Für die Bürgerlichen waren wir zu links“ beschreibt Füngerlings das Paradox, „für die Autonomen zu bürgerlich.“
Doch das Zentrum Altenberg war keine Eintagsfliege; es etablierte sich als einer der zentralen Freizeitorte der Stadt samt Disko, Biergarten und Kleinkunstbühne. Die Akzeptanz wuchs auch mit dem rasanten, bundesweiten Erfolg jener, die hier am Anfang nur ein Zimmer für sich und ihr Talent gesucht hatten: Da sind die „Missfits“, die bei der Eröffnungsparty ihren allerersten „walking act“ als Putzfrauen aufführten, oder Ulrike Grossarth, die am gleichen Tag eine Performance in Altenberg beisteuerte und heute als renommierte Professorin in Dresden arbeitet. Auch andere völlig unbekannte Künstler wie Guildo Horn, Xavier Naidoo, Wir sind Helden oder Stefan Stoppok begeisterten hier erste kleine Fangruppen, bevor sie sich daran machten, große Hallen zu füllen.
Allmählich wurde vor allem eines klar: Das Zentrum Altenberg ist für die Menschen da – ob mit den vielen, sehr gut besuchten Kinderkleider- und Spielzeugmärkten von Terre des Hommes, dem Kino im Walzenlager oder den bemerkenswerten Ausstellungen in der lichtdurchfluteten Kunsthalle.
Gerade das Beispiel von Terre des Hommes, die seit der ersten Minute in Altenberg dabei waren, beweist auch, dass politisches Denken an diesem Ort ebenso erwünscht ist wie schnelle, wachsame Reaktionen auf sozial Notwendiges. Die Oberhausener Arbeitsgruppe, die im vergangenen Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum feierte, begann ihre Arbeit mit Unterstützung von Kindergärten auf den Kapverdischen Inseln und von Flüchtlingslagern in der Westsahara. In den vielen Jahren, die seitdem verstrichen sind, hat Terre des Hommes immer wieder klar gemacht, dass das berühmte Boot gar nicht so voll ist wie immer argumentiert wurde. Vom mittlerweile verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau geehrt und mit der Ehrennadel der Stadt Oberhausen ausgezeichnet, kooperiert die Arbeitsgruppe seit August 2006 bei der Offenen Ganztagsschule mit der Josefschule. So gibt es im Zentrum Altenberg nicht nur Freiraum für die Kultur, sondern auch für deutsche und ausländische Kinder.
Herzstück des Zentrum Altenberg ist auch nach 25 Jahren noch die Disco. Wie eh und je finanziert sie die Grundkosten, denn die verschiedenen Nutzergruppen des Zentrums, von der Starthilfe e.V. über die Zauberer des Magischen Zirkels bis hin zum Seniorentanz, müssen nichts zahlen. Fand die Disco in den Anfangszeiten nur einmal im Monat statt, so wird im Eisenlager mittlerweile öfters im Monat abgezappelt; es gibt die Adults-Only-Disco für Über-25jährige, die Düster-Disco für Anhänger von Gothic- und Darkwave-Musik. Und es gibt die rauchfreien Diskos an jedem 3. Freitag im Monat. Die Halloween-Partys im Eisenlager sind längst NRW-weit bekannt; das Kultur- und Kabarettprogramm, das in der Schlosserei läuft, steht im Kulturkalender der konservativen FAZ ebenso wie bei Clubguides im Internet. Das Zentrum Altenberg ist längst erwachsen und sein Schmuddelkinder-Image von einst los.
Zwei Mal musste sich das neue Leben in der alten Zinkfabrik dafür häuten: Das erste Mal, als das Gelände 1986 wegen eines Giftskandals komplett leer geräumt werden musste. Zufällig, kurz nachdem ein Künstler vor der Schlosserei Boden aushob, um aus der Erde eine Plastik zu formen, stellte sich heraus, dass der Boden verseucht war: In den Zinkerzen, die im Hochofen am Altenberg verarbeitet worden waren, befand sich auch Kadmium, Quecksilber und Blei – und Rückstände davon auf dem Gelände des Zentrums. Sechs Jahre dauerte die Sanierung – wer zynisch sein wollte, könnte sagen, die Altlasten waren ein Glücksfall für das chronisch klamme Altenberg. Denn: Weil nun auch das Rheinische Industriemuseum nebenan betroffen war, spendierte das Land NRW für die Sanierung 7,5 Millionen Mark. Hinterher strahlte das gesamte Zentrum Altenberg heller als zuvor.
Die Disco und die Kleinkunst boomten. Das Zentrum Altenberg war in den folgenden 90ern so erfolgreich wie selten zuvor. Doch das Geld, das so in die Kassen gespült wurde, versickerte. Das basis-demokratische Plenum erkannte viele Notwendigkeiten, Geld auszugeben, aber kaum jemand hatte einen vollständigen Überblick. So leicht man sich mit dem Geldausgeben tat, so schwer fiel eine Effizienzkontrolle. Die ambitionierte Soziokultur, die so anders sein wollte, hatte ihre Kinder gefressen. 2003 war der Initiativkreis Altenberg pleite und am Ende. Die zweite Häutung sollte also passieren.
Der neue Träger, SOVAT e.V. besteht nun aus einigen Urgesteinen, die einen neuen Kurs fahren, und einigen Machern der ersten Stunde, die nach vielen Jahren Altenberg-Abstinenz zurückgekommen sind. Weil man sie brauchte. Heute hat das Zentrum ein „Controlling“, die Basisdemokratie wurde erst einmal eingemottet. „Wir sind jetzt gut strukturiert demokratisch“ betonte Holger Füngerlings, der im Vorstand von SOVAT sitzt. Kultur und Geschäft sind seit der Insolvenz getrennt – es gibt den Verein und dann gibt es die GmbH, die auch mit privaten Geldern, also Herzblut, gegründet wurde. Man macht eine Million Umsatz im Jahr, zählt 100.000 Besucher bei Disco und 167 Veranstaltungen im Jahr und hat 60 Arbeitsplätze. Das meiste allerdings, das wird ehrenamtlich erledigt. Aus dem Experiment von 1982 ist so ein mittelständischer Betrieb geworden. Und die Macher von einst und heute sind mittlerweile grau.
Was bleibt, was wird sich nie verändern? „Die Gemeinschaft“ sagt der Künstler Hartwig Kompa, ebenfalls im SOVAT-Vorstand, „dass alles möglich ist“ meint Füngerlings. Die Heimat: „Meine Kinder haben auf diesem Gelände Fahrradfahren gelernt“ sagt Phillip Haverkamp, das dritte Vorstandsmitglied. „Jetzt wollen sie gerne hier in die Disco“. Das tolerante Nebeneinander, das Zulassen des Anderen, das habe sich in all den Jahren am Zentrum Altenberg nicht verändert und sei heute, im heutigen Zeitgeist, entscheidend.
„Hier hat man noch eine Chance, anders miteinander umzugehen als wir es beispielsweise manchmal im Job erleben“ sagt Füngerlings. Ohne Machtkämpfe oder Polarisierung. Das Altenberg hat eben einen sozialen Touch, und damit ist nicht nur die Arbeitslosenberatung auf dem Areal gemeint. „Hier leben wir, das Altenberg zeigt die ganze Bandbreite der Stadt“, fasst Füngerlings zusammen. „Wir sind nicht das linke Zentrum in irgendeiner Ecke, sondern Zentrum für alles, was sich hier wiederspiegelt.“